Paarbeziehungen und Streit

1. Ist Streit völlig normal in Paarbeziehungen?

Ja, es ist wahr, dass sich die meisten Paare im Laufe ihrer Beziehung ab und zu „in die Wolle“ bekommen. Das bedeutet noch lange nicht, dass in der Partnerschaft etwas nicht stimmt. „Leichte“ und nicht zu heftige Auseinandersetzungen sind sogar förderlich für die Beziehung, denn dann lernen sich die Partner sogar besser kennen und bestenfalls mehr lieben. Sie erkennen dadurch ihre Grenzen, was für wen wichtig und sinnvoll ist, welche Werte jeder hat und wie sich diese miteinander kombinieren lassen. Bestenfalls stärkt dies alles sogar die Paarbeziehung. Kleinere Reibereien können auch auflockern, wenn diese Auseinandersetzungen nicht bitterernst ausgefochten werden. Psychologen fanden heraus, dass der Haupt-Streitfaktor im Jahr 2021 das Haushaltsthema war. Dabei ging es vielfach um Ordnung und Sauberkeit und darüber, wer was wie zu erledigen hat. Die Situation mit der Pandemie im Hinblick auf  Home Office war natürlich besonders herausfordernd und begünstigte diese Streitfaktoren. Auch häufig gestritten wurde über Geld, Freizeitgestaltung und Kindererziehung sowie das Beschäftigen mit dem Smartphone und das Thema Eifersucht. Es gab auch einige Fälle, man geht von ca. 20% aus, in denen es keinen offensichtlichen Grund für den Streit gab außer schlechter Laune eines oder beider Partner.

Streit in Paarbeziehungen ist per se nicht schlimm. Denn wenn wir uns dem Bereich „Kompromisse“ zuwenden, dann ist klar, dass es in jeder Partnerschaft dazugehört Kompromisse einzugehen. Auf Dauer kann aber derjenige (sehr) unglücklich werden, der vor lauter Kompromissen oder Zugeständnissen die eigenen Bedürfnisse aus den Augen verliert.  Deswegen ist es wichtig und gut, dass in Beziehungen Probleme besprochen werden. Dann sind die Partner auch in der Lage für sie passende Lösungen oder für beide Seiten annehmbare Kompromisse zu finden.

 „Auseinandersetzungen sind in Beziehungen unvermeidlich“ und „nach der ersten Verliebtheitsphase stellt man eben doch fest: Wir sind zwei unterschiedliche Menschen“ (Prof. C. Rösler, Paartherapeut aus Freiburg). Er meint ferner, wenn man sich über Unterschiede in Beziehungen verständigen kann, dies darüber entscheidet, ob und wie die Liebe (auf Dauer) halten kann.

Meiner Meinung nach ist es sehr wichtig, sich nach einer überstandenen Auseinandersetzung dem Partner wieder zuzuwenden und Nähe aufzubauen. Also konstruktives Umgehen miteinander sollte großgeschrieben werden.

Mein Fazit hier: Es ist gut zu streiten bzw. unterschiedliche Meinungen zu haben. Aber bitte insgesamt an einem Strang ziehen und die Basis der Liebe nicht in Frage stellen. Es kommt natürlich auf die Art an, wie gestritten wird. Wenn die Fronten geklärt sind, kann dies die Liebe stärken und wachsen lassen.
 

 

2. Streiten Männer anders als Frauen?

Meistens ist es die Frau, die unangenehme Dinge äußert und bei dem Streiten die aktivere Rolle einnimmt, ja häufig auch als erstes zu diskutieren anfängt. Männer neigen in der Partnerschaft eher dazu, Konflikten aus dem Weg zu gehen.

Der Grund, weshalb Männer anders reagieren, könnte darin liegen, dass sie ein angeblich schwächeres Nervenkostüm haben (lt. Prof. John Gottmann, US-amerikanischer Psychologe) und sie konfliktscheuer seien, da sie nicht verletzt werden wollen. Prof. Anne Milek (Paar- und Familienpsychologin, Universität Münster) meint: „Männer erleben Streit tendenziell als unangenehmer und reagieren auch mit höherem physiologischen Stressarousal, was sich gegebenenfalls auch in körperlicher Aggression entladen kann.“

Der Paartherapeut Dr. Stefan Junker bestätigt die typische Rollenverteilung und er meint, dass es noch nicht geklärt sei, weshalb Männer Streit eher vermeiden, da es verschiedene Ansätze gibt, z. B. geschlechtertypische Erziehung oder Männer gehen eher davon aus, dass sich Probleme von selbst auflösen. Es könne sich aber auch um dominantes Verhalten durch Passivität handeln, in dem sie das Thema um dass es sich im Streitfall dreht, als nicht so wichtig erachten. Ferner könnte auch sein, dass sie meinen der Frau sprachlich und kommunikativ unterlegen zu sein. Prof. Rösler denkt, das kulturelle Hintergründe wahrscheinlich seien: „Frauen werden in unserer Gesellschaft Gefühle zugestanden. Deswegen lernen sie, offensiver mit ihnen umzugehen, beziehungsweise können diese schlechter regulieren.“

Es gibt hier verschiedene Erklärungsansätze, und man muss alles auch unter dem Gesichtspunkt der Historie der Entwicklungsgeschichte des Menschen sehen, als Männer noch Jäger und Sammler waren und Frauen für die Kommunikation und das Miteinander sowie den Zusammenhalt in Familien zuständig waren. Diese Struktur ist sehr alt und sitzt so fest, dass sie sehr wahrscheinlich immer noch auf die Menschen in der heutigen Zeit Auswirkungen hat.

Festgestellt wurde in Forschungen auch, dass gleichgeschlechtliche Paare Konflikte konstruktiver und behutsamer austragen. In diesen Beziehungen werden Probleme mit einer positiveren Haltung angesprochen. Auch nahmen bzw. nehmen sie die Differenzen mit mehr Humor als heterosexuelle Paare. Wahrscheinlich, weil sie nicht die klassischen Rollenmuster abdecken. Aber diese Frage ist noch nicht abschließend geklärt und beantwortet.
 

 

3. Wann schadet Streit der Partnerschaft?

Streit schadet erst, wenn man feststellt, dass sich die Partner bereits entfremdet haben und jeder hauptsächlich seines Weges geht. Auch wenn sie sich so zermürben, dass sie eher Feind als Freund sind. Oder wenn es keine Nähe oder Leichtigkeit mehr zu geben scheint. Auch schadet der Streit, wenn dieser in Beleidigungen und/oder heftige Wortgefechte ausartet, und es eher um Macht geht als um das Miteinander in der Beziehung. Manche Menschen neigen auch dazu ihre Partner immer wieder zu beleidigen oder zu erniedrigen oder zu kritisieren. Dies dann immer wieder so, dass sie auf denselben Themen rumreiten. Was ebenfalls schadet, wenn hinter dem Rücken des anderen schlecht geredet wird, aber nicht um sich Hilfe zu holen, sondern reines Schlecht-Machen. Gehässigkeit, aggressive Gestern, verbal unter die Gürtellinie gehen sowie Schmollen in Verbindung mit „Dichtmachen“ zählt ebenfalls zu einem schädigenden Verhalten. Bei paarpsychologischen Experimenten wurde dies auch bestätigt. 

Was mir in meiner Erfahrung als Beziehungs-Coach schon mehrfach unterkam: Es gibt auch häufig umgekehrte Schuldzuweisung zu beobachten. Wenn ein Partner zu Recht (aus subjektiver Sicht ist damit gemeint) oder sehr hart kritisiert wird, dann gibt er oder sie sofort die Schuld an den anderen (den Kritiker) zurück. Das könnte man zwar als Notwehr interpretieren, letztlich ist es für ein konstruktives Gespräch und eine friedliche Lösungsfindung nicht dienlich. Wenn nur einer von Beiden so agiert wie hier und zuvor beschrieben, hat die Partnerschaft kaum noch die Möglichkeit zu gelingen und sich zu erholen.
 

 

4. Gelingende Partnerschaft:

Zugewandt miteinander sprechen. Am besten an einem ruhigen Ort, ein bis maximal zwei Stunden pro Woche, ohne Vorwürfe und dafür sehr konstruktiv miteinander reden und umgehen. Positives über und zu dem Anderen sagen, aber auch sich gegenseitig erlauben über Dinge, die nicht so gut laufen oder einem an dem Anderen nicht gefallen zu sprechen. Der jeweils andere sollte einfach nur zu-hören und wahrnehmen ohne zu bewerten und ohne gleich zu urteilen. Es sollten keine Rechtfertigungen folgen. Es sollten eher Lösungen und Kompromisse gefunden und besprochen werden. Alles soll behutsam und zugewandt ablaufen. Wenn man nichts zu bemängeln hat, dann kann man einfach nur mit-einander reden oder man schweigt einfach. So ein Schweigen, wenn es freundlicher Natur ist, kann auch sehr bereichernd für die Beziehung sein. Aller Anfang ist schwer, aber man kann es immer wieder so machen. Übung macht den Meister, bedeutet, dass es etwas dauert, bis man die Vorteile eines solchen, Therapeuten nennen es „Zwiegespräch“ spürt und erfährt. Ich finde, dass es sich wirklich lohnt ein solches Zwiegespräch regelmäßig abzuhalten, denn es lohnt sich, und wirkt präventiv für zukünftige Differenzen, die dann leichter angesprochen und gelöst werden können. Das gegenseitige Verständnis für die Andersartigkeit des Partners kann durch diese immer wiederkehrenden Gespräche gefördert werden, sowie auch das Verstehen weshalb der Andere Dinge anders handhabt oder handhaben möchte, als man selbst.
 

Nachfolgende noch bewährte Tipps (insgesamt für gelingende Beziehungen):

 

  • Nur das Verhalten kritisieren, nicht den Partner bzw. Menschen an sich.
  • ICH-Botschaften formulieren anstelle (an)klagen, wie z. B. „Ich fühle mich ignoriert, wenn du zuerst x oder y begrüßt, weil ich mich dann nicht wichtig genommen fühle“. Der Partner kann einen nämlich dann besser verstehen und anders reagieren als wenn er in die Enge getrieben wird.
  • Konkret bleiben, heißt Beleidigungen und Verallgemeinerungen vermeiden („Du Egoist“ o. ä.). Solche „endgültigen“ Aussagen können schädlich wirken. Besser: „Ich fand es schlimm, dass du dein Versprechen, gestern mit mir gemeinsam aufzuräumen nicht eingehalten hast“.
  • Pausen einlegen und zusätzlich ggfs. ein Stopp-Signal ausmachen. Vermeidung von Eskalationen und Sätzen, die den anderen sehr verletzen. Lieber mit gewissem Abstand die Situation betrachten.


Übrigens, Paare, die lange oder für immer zusammenbleiben, haben eine positive und behutsame Art des Streitens. Sie sind sich grundsätzlich zugewandt und gehen respektvoll miteinander um, auch wenn sie sich mal uneinig sind. Sie sind bereit Unangenehmes anzusprechen und den Konflikt proaktiv auszutragen. Sie sind grundsätzlich bereit, beziehungs- und lösungsorientiert zu bleiben. Sie sind in der Lage und willens Nähe nach einem Streit wieder herzustellen. Man hat herausgefunden, dass sich Partner, die sehr lange zusammenbleiben immer wieder die Nähe, auch durch zärtliche Berührungen suchen und immer, auch nach Jahren sich noch richtig anschauen (in die Augen sehen) und miteinander lachen können.

Umgekehrt, wenn der Streit bereits solchen Schaden genommen hat, dass die Paare sich auseinandergelebt haben, keine Nähe mehr zulassen können oder wollen, dann sind das Signale, die es nötig machen würden, eine Beratung für das Paar zu empfehlen. Dies gilt auch, wenn ein Partner sich durch wiederkehrende Streitigkeiten sehr belastet fühlt und keinen anderen Ausweg mehr sieht als sich vom anderen Partner zu distanzieren. Wenn keine Nähe mehr zugelassen wird, gilt dies auch. Es gibt hier sehr unterschiedliche Ansätze und Methoden mit Hilfe von Coachings (Coach als neutrale Person) mit lösungsorientierter Herangehensweise, so dass die Beziehung wieder in die Balance kommt oder sich wieder eine gute Entwicklung für die Paar-Beziehung ergeben kann. Wie sich die Beziehung dann letztlich entwickelt, kann man natürlich nicht vorhersehen. Eine Veränderung in oder mit der Paarbeziehung ergibt sich allerdings bereits während oder spätestens nach des Coaching-Prozesses immer.


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verfasst von Verena Voigtländer

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